Anerkennung im Job: Was ist berechtigt – und wo wird es heikel?

In meiner Tätigkeit als Coach spreche ich immer wieder mit Menschen, die sich in ihrem Job fehl am Platz, nicht gesehen, ungerecht behandelt oder schlichtweg nicht wertgeschätzt fühlen. Das verursacht Leid – persönlich wie strukturell. Und es kostet Unternehmen viel Geld.

Trotzdem ist es oft ein Tabuthema. Ein stiller Schrei, der selten laut wird – höchstens unter vorgehaltener Hand oder im Coachingraum. Mitarbeiterumfragen deuten es an. Doch viele Mitarbeitende wie auch Führungskräfte bleiben damit allein. Die häufigste Klage: mangelnde Wertschätzung – vor allem von Vorgesetzten.

„People leave bosses“, heißt es. Doch was heißt das konkret – und was lässt sich wirklich tun?

Anerkennung: verständlich, aber kein Versorgungsauftrag

Viele Mitarbeitende wünschen sich, von ihren Vorgesetzten gesehen und anerkannt zu werden. Für Führungskräfte ist es oft herausfordernd, mit dieser Erwartung umzugehen – ohne sich zu überfordern oder in eine Rolle zu geraten, die gar nicht zu ihrem Auftrag gehört.

Diese Dynamik führt zu Spannungen auf beiden Seiten – und zu der Frage:

  • Was ist hier eigentlich „professionell“?
  • Geht es um Distanz?
  • Um empathische Nähe?
  • Um eine neue Definition von Führung?

„Ich reiße mir den ganzen Tag ein Bein aus – und am Ende wird es einfach als selbstverständlich genommen.“

Diesen Satz höre ich regelmäßig im Coaching. Er steht für ein Gefühl, das viele im Arbeitsalltag kennen: Sie zeigen überdurchschnittlichen Einsatz, Herzblut fließt in strömen, sie tragen (übermäßige) Verantwortung, sind (extrem) engagiert – werden belohnt, befördert und gefeiert und haben dennoch das innerlich permanent nagende Gefühl, übersehen zu werden. Das hinterlässt Frustration, Wut oder Resignation.

Die Gedanken drehen sich im Kreis:

  • Bin ich hier nur Mittel zum Zweck?
  • Bin ich überhaupt am richtigen Ort?
  • Womit habe ich das verdient?

Häufig ist die "Lösung" - mehr vom Gleichem zu tun, naturgemäß mit gleichem Resultat - enttäuschten Erwartungen.

Viele verknüpfen Anerkennung mit etwas Tieferem: dem Bedürfnis, sich zeigen zu dürfen – und Resonanz darauf zu bekommen. Wenn diese ausbleibt, wird irgendwann nicht nur die Situation in der Organisation, sondern auch die eigene Person - die eigene Identität - infrage gestellt.

Wenn Erwartung zur Abhängigkeit wird

Natürlich ist das Bedürfnis nach Resonanz ein - oder vielmehr das zentrale menschliche Bedürfnis schlechthin. Doch wird es zur Voraussetzung für innere Stabilität, entsteht emotionale Abhängigkeit. Dann liegt das Problem weniger im Außen, sondern in den selbst geschaffenen – und oft still bleibenden – Erwartungen.

Wer sich fragt, warum er oder sie unglücklich ist, sollte genau hier ansetzen. Es sind oft nicht die äußeren Umstände, sondern die enttäuschten Erwartungen, die das Leid erzeugen. Enttäuschungen sind ein Geschenk, sie erinnern uns, dass wir Erwartungen (selbst) geschaffen haben!

Organisationen sind keine Bühne für emotionale Versorgung

Organisationen sind keine geeigneten Versorgungsorte für psychische Bedürfnisse. Sie existieren in erster Linie, um Leistungen zu erbringen: Produkte, Dienstleistungen, Prozesse für externe Märkte. Sie operieren mit Rollen (die durch Personen ausgefüllt werden), Entscheidungen, Strukturen – nicht mit emotionaler Rückversicherung.

Das bedeutet nicht, dass Organisationen kalt sein müssen. Aber sie schließen Arbeitsverträge, keine Therapieverträge.

Anerkennung kann innerhalb einer Organisation Platz haben – als Teil von Führung, Teamkultur und Feedbackkultur. Doch sie ist nicht systemtragend, sondern begleitend.

Zwischen Anerkennung und Abhängigkeit

Wo endet gesunde Resonanz – und wo beginnt emotionale Abhängigkeit?

Viele Menschen fordern heute eine „wertschätzende Unternehmenskultur“. Klingt gut – wird aber oft missverstanden. Wenn Mitarbeitende emotionale Bedürftigkeit ins System tragen, wird die Führungskraft schnell zur Ersatzfigur. Eine Art emotionaler Versorger, der sich um das seelische Gleichgewicht kümmern soll. Die Organisation wird zur Bühne früher Bindungsthemen.

Das Ergebnis: Autonomie schwindet, Selbstverantwortung weicht einer Haltung des „Erfüllt-werdens“. Die Organisation aber kann das strukturell nicht leisten.

Was Organisationen tun können – und was nicht

Organisationen tun gut daran, wertschätzende Strukturen zu ermöglichen: Feedbackkultur, gute Führung, transparente Kommunikation. Wertschätzung darf Raum haben – aber sie darf nicht zur Pflicht werden.

Eine rein funktionale Haltung („Geld gegen Arbeit“) stößt in modernen Arbeitsverhältnissen an ihre Grenzen. Aber auch das andere Extrem – eine fürsorglich-übergriffige Kultur – ist keine Lösung.

Organisationen sind gut beraten, Wertschätzung als Haltung mit Augenmaß zu kultivieren, ohne sie zu emotionalisieren oder standardisieren zu wollen. Denn: Wer sich dauerhaft vom Lob anderer abhängig macht, verhungert innerlich – und bleibt in einer Opferhaltung.

Was beide Seiten tun - und lassen - können:

Mitarbeitende:

  • Reflektiere ,warum Anerkennung für dich so wichtig ist.
  • Unterscheide zwischen Feedback und emotionaler Bestätigung.
  • Lerne , dich selbst zu sehen – unabhängig vom Blick der anderen.

Führungskräfte:

  • Geben Sie Anerkennung bewusst, ehrlich, bezogen – nicht als Pflicht.
  • Achten Sie auf Ihre Grenzen: Sie sind nicht für das psychische Gleichgewicht anderer zuständig.
  • Führen Sie klar, zugewandt – aber bleiben Sie in Ihrer Rolle.

Warum dieses Thema so oft im Coaching auftaucht

In der Arbeit mit Einzelpersonen und Teams zeigt sich dieses Spannungsfeld immer wieder:

  • Wie viel emotionale Nähe ist gesund – und wo beginnt Abhängigkeit?
  • Wie kann ich mich zeigen, ohne mich auszuliefern?
  • Wie führe ich andere, ohne Projektionsfläche zu werden?

Coaching kann helfen, genau diese Fragen zu sortieren. Nicht um „besser zu funktionieren“, sondern um mehr innere Klarheit zu gewinnen – für einen professionellen und gleichzeitig menschlichen Umgang mit Anerkennung.

Du merkst, dass du Anerkennung brauchst, um dich stabil zu fühlen? Oder du fragst dich als Führungskraft, wie du mit diesen Erwartungen umgehen sollst?
Dann lass uns ins Gespräch kommen. Ich begleite Menschen und Organisationen genau an diesen Schnittstellen.

Denn: Klarheit im Inneren führt zu Klarheit im Außen.

Preview: Gefällt dir, was ich schreibe, dann blieb dran. In den kommenden Wochen werde ich noch viele Themen rund um Organisation, Resonanz, Psychologie, Philosophie, Komplexität und Führung bewegen.
Vielen Dank, dass du deine Zeit mit mir verbracht hast. Bis zum nächsten mal, stay tuned!

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