Die Frage, wer eigentlich eine gute Führungskraft ist, klingt simpel, sie wird intuitiv gestellt – ist aber irreführend. Diese Frage klingt einfach, hat aber keine einfache, sondern eine kontraintuitive Antwort. Und genau das macht die Frage und auch die Antwort so furchtbar interessant. Die Frage "wer ist eine gute Führungskraft - oder auch "wie wird man eine gute Führungskraft" unterstellt, dass es eine Art Ideal - einen Superhelden, eine Superheldin - gibt, dem/der man als Person entsprechen - oder sich dahin entwickeln - muss: empathisch, charismatisch, entscheidungsfreudig, agil, souverän... die Liste ist lang.
Doch so funktioniert Führung nicht – zumindest nicht in Organisationen. Der Kontext ist ganz entscheidend!
Führung ist keine ausschließliche Charakterfrage
Die Vorstellung, dass „gute Führung“ einzig aus einer besonders gelungenen Persönlichkeit entsteht, ist weit verbreitet – aber zu kurz gedacht. Sie blendet Wesentliches aus, wie ich in diesem - und weiteren - Artikeln noch tiefer ausführen werde. Führung ist keine individuelle Leistung, sondern das Ergebnis einer beziehungsorientierten Dynamik zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden. besser aller Beteiligten in dem jeweiligen Kontext - der Organisation, dem (Kunden-)Projekt etc. Sie ist ein Dialog und vor allem ein wechselseitiger Einfluss. Als Wirkmechanismus zwischen den Menschen ist sie als komplexes Phänomen zu betrachten, die keiner linearen Ursache-Wirkungs-Beziehungslogik folgt.
Ohne einen, der sich (freiwillig) führen lässt, kann es keine Führung geben. Dieser Satz gilt nicht für Steuerung oder Aufgabenverteilung, was ich noch ausführen werde. Führung beruht im Wesentlichen auf der Beziehung aller Beteiligten.
Organisationen (unterstellt man ihr kurz ein Bewusstsein) "interessieren" sich nicht in erster Linie für (heldenhafte) Persönlichkeiten. Sie interessieren sich für Funktionen. Und Führung ist genau das: eine Funktion, die sich vollzieht oder eben nicht, oder anders als man es sich gewünscht hat!
Was ist eine Funktion in der Organisation?
In Unternehmen tauchen bestimmte Herausforderungen immer wieder auf. Zum Beispiel:
- Wie treffen wir Entscheidungen?
- Wie behalten wir den Überblick?
- Wie sorgen wir für Orientierung?
Diese wiederkehrenden Aufgaben nennt man Funktionen.
Eine Funktion ist also eine Tätigkeit, ein Prozess, der sich vollzieht und sie ist damit nicht an eine Person gebunden, sondern beschreibt eine bestimmte Leistung, die ein Unternehmen (Projekt etc.) braucht, um handlungsfähig zu bleiben.
Beispiele:
- Steuerung ist eine sehr wertvolle Funktion, die hilft, Pläne zu machen, Budgets zu verteilen, Kontrolle auszuüben.
- Führung ist eine andere Funktion – sie schafft Orientierung, ermöglicht Lernen, gibt Richtung vor.
Führung ist die Bearbeitung von Beliebigkeit. Sie dient der Reduktion von Komplexität. Führung koordiniert sachlich, sozial und zeitlich die Aktivitäten vieler Beteiligter, um eine organisationale Leistung zu ermöglichen. Diese Funktion werden meist von bestimmten Rollen, Einheiten oder Prozessen übernommen – z. B. durch das gehobene Management oder auch durch Führungskräfte auf der mittleren Ebene oder Projektleiter:innen, die sich nicht als Verwalter:innen, sondern Gestalter:innen verstehen. Manche differenzieren hier auch zwischen Management (= wissensbasierte Steuerung, Verteilung von Aufgaben) und Leadership (= Führung, Zuschreibung eines Kompetenzverdachtes, dem dann (zeitweise und situativ) ge-folgt und auch wieder ent-folgt wird). Daher gilt es zu allererst die Begrifflichkeiten - "Was ist Führung?"- und die Bedeutungsgebung unter den Beteiligten zu klären. Ich nenne das "Sprachhygiene" oder wahlweise das "Etablieren eines gemeinsamen Wortschatzes, oder eines gemeinsamen ABCs". Das wird in der Regel vernachlässigt. Stattdessen wird, wenn man im Managementdiskurs über Führung, Leadership, Managerskills etc. redet, vergleichsweise unachtsam - um nicht zu sagen undiszipliniert - drauflos - und damit trefflich aneinander vorbeigeredet. Jeder läuft in seiner eigenen Landschaft mit seiner eigenen Landkarte herum ...
Ich verstehe Führung, wie oben ausgeführt als Funktion. Dann gilt: Wenn diese überlastet oder blockiert ist, kann es sein, dass die Funktion trotzdem irgendwo im System weiterläuft – nur eben auf anderen Wegen:
- Inoffiziell.
- Auf der Hinterbühne.
- Über Gerüchte, Flurfunk oder informelle Netzwerke.
Funktion heißt also: Nicht wer etwas tut, ist (so) entscheidend – sondern vor allem dass es (überhaupt) passiert. Und manchmal passiert es anders, als man denkt oder will.
Führung ist nie „gut“ – sie ist immer paradox
Organisationen sind keine neutralen Bühnen. Im Gegenteil, manche gehen soweit sie als "Frustrationsmonster" zu bezeichnen. Sie erzeugen Erwartungen, Widersprüche und Zielkonflikte. Wer in Organisationen, Projekten etc. führt, steht immer in einem enormen Spannungsfeld: Hier einige Beispiele, die Liste ließe sich unendlich fortsetzen.
- Du sollst klar entscheiden – und gleichzeitig partizipativ sein.
- Du sollst die Zahlen im Blick haben – und die Menschen im Team stärken.
- Du sollst mutig vorangehen – aber niemanden überfordern.
Das Problem: Du (als Superheld, oder Superheldin) kannst es kaum vollständig „richtig“ machen, weil es das Richtige nicht gibt. Jede Entscheidung schafft neue Nebenwirkungen. Jede (Führungs-)Lösung bringt ein neues Lösungsproblem mit sich. Das zu Wissen und damit kompetent zu arbeiten ist sehr zentral. Gerade angehende Führungskräfte haben noch nicht ausreichend Klarheit über ihre Rolle. Es ist bekanntermaßen noch kein Meister vom Himmel gefallen. Es ist daher sehr wichtig, sie konsequent und über einen längeren Zeitraum darin zu unterstützen in ihre Rolle zu finden. Dabei ist entscheidend, ihnen ein tieferes Verständnis für das Führungsphänomen nahezubringen, um sie dann zur Reflexion der eigenen Praxis anzuregen, damit sie dann mit Selbstbewusstsein, Entschlossenheit und klarem Blick führen können. Ohne eine solche Unterstützung steigt die Wahrscheinlichkeit für Irrwege und vermeidbare (teure) Fehler in der Führungslaufbahn erheblich – und leider ist das in vielen Unternehmen gängige Praxis. Die Auseinandersetzung mit Führung und die zeitliche Investition in die Förderung von Führungskräften durch Mentoring, zum Beispiel durch erfahrene Mitarbeitende, wird häufig als niedrigprioritär angesehen. Kurzfristig mag das nachvollziehbar sein, da das operative Tagesgeschäft Vorrang hat. Doch langfristig betrachtet ist dieses Vorgehen für die Zukunft des Unternehmens wenig nachhaltig.
Die Frage nach der „guten Führungskraft“ ist meines Erachtens die falsche. Besser wäre:
Wie gelingt es, mit den Paradoxien von Führung kompetent umzugehen? Oder "Wie gestalten wir gemeinsam eine gelungene Führungsinteraktionsbeziehung" Letzteres erscheint erklärungsbedürftig, daher habe ich je zwei separate Artikel geschrieben, die in den nächsten Wochen erscheinen werden. Der eine ist formuliert aus der Perspektive der Führungskraft, der andere aus Mitarbeiterperspektive.
Führung braucht Rollenklarheit – und Selbstreflexion
Führung entsteht nicht (nur) durch Haltung oder Erfahrung der Führungskraft. Sie entsteht im Zusammenspiel von Person, Rolle und Organisation. Souveräne Führung beginnt da, wo du als Führungskraft beides erkennst:
- die Funktion deiner Rolle – also: Was wird hier eigentlich von mir erwartet?
- und die Verantwortung deiner Person – also: Wie kann ich das bewusst gestalten, ohne mich selbst zu verlieren?
Führung ist nicht kontrollierbar – aber in wesentlichen Teilen erlernbar
"Gute" Führung kann definitionsgemäß (Führung als Funktion, die man erkennt wenn sie sich vollzieht) nicht heißen, immer richtig zu entscheiden. Was richtig ist, entscheidet sich häufig erst in der Zukunft. Sondern in der Lage zu sein, mit Ambivalenz, Komplexität und Unvollkommenheit umzugehen. Sie bedeutet, die Paradoxien des Systems zu verstehen, ohne daran zu verzweifeln – und genau darin wirksam zu werden. Mehr noch: Führung bedeutet, die Chance darin zu erkennen genau daran zu wachsen, als Persönlichkeit zu reifen und in diesem Prozess immer mehr Klarheit, Gelassenheit und Souveränität zu gewinnen. Führungskräfte entwickeln sich, indem sie lernen, Unsicherheit auszuhalten, Entscheidungen bewusst zu treffen und ihre eigene Rolle kontinuierlich zu reflektieren.
Im Coaching arbeite ich mit Menschen, die genau in diesen Spannungsfeldern stehen.
- Die führen wollen, ohne sich zu verbiegen.
- Die klarer sehen wollen, wo ihre Rolle endet – und ihre Verantwortung beginnt.
- Und die lernen wollen, wie man in einer Organisation wirksam bleibt, ohne sich selbst zu verlieren.
Dabei steht die Verantwortung für die eigene Person im Mittelpunkt. Gerade weil Führungskräfte in komplexen Situationen oft wenig Einfluss auf äußere Umstände haben, ist es entscheidend, den eigenen Gestaltungsspielraum zu erkennen und aktiv zu nutzen. Genau hier setzt das Coaching an: Es unterstützt Führungskräfte dabei, ihre persönliche Verantwortung zu definieren, ihren Handlungsspielraum auszuschöpfen und wirksam zu gestalten.
In meiner langjährigen Praxis habe ich bereits viele angehende und erfahrene Führungskräfte erfolgreich darin unterstützt, ihre Rolle souverän zu gestalten, ihren eigenen Führungsstil zu entwickeln und sicher zu entfalten. Gemeinsam arbeiten wir daran, Klarheit und Orientierung in komplexen Situationen zu gewinnen, persönliche Stärken bewusst einzusetzen, komplexe Herausforderungen mit zunehmender Gelassenheit und Selbstvertrauen zu meistern und eine kraftvolle, reflektierte Führungspräsenz aufzubauen.
Wenn dich das anspricht: Ich begleite dich gern.
Preview:
Gefällt dir, was ich schreibe, dann bleib dran. In den kommenden Wochen werde ich noch viele Themen rund um Organisation, Führung, Psychologie und Philosophie bewegen.
Unter anderem schreibe ich über
- Führungsbeziehungen als unausweichlichen Tanz zwischen Nähe und Distanz
- den „Mitarbeitermerksatz Nr. 1: Keiner hat Macht über mich, außer ich gebe sie ihm!“
- dysfunktionale Muster der Zusammenarbeit, immer dann, wenn Fürsorge in der Führung kippt
- den lauten (schier verzweifelten) Ruf nach Klarheit, und warum dieser uns am Ende häufig doch täuscht
und alles, was mir spontan sonst noch an spannenden Themen durch den Kopf geht.
Vielen Dank, dass du deine Zeit mit mir verbracht hast. Bis zum nächsten mal, stay tuned!