Führung ist auch Ausdruck eines Beziehungsgeschehens

Führung ist eines der am meisten diskutierten Phänomene in Organisationen – und gleichzeitig schwer zu fassen. Jeder spricht darüber, jede*r hat eine Perspektive, was sie wirklich ausmacht, welche Ebenen sie betrachtet und welche Aufgaben mit ihr einhergehen. Stoff für viele Artikel, die ich noch schreiben werde. Heute setze ich den Fokus auf den einen Aspekt: Führung im Organisationskontext und dort auf die zwischenmenschliche Interaktionsgestaltung.

Viele Menschen glauben, Führung sei die Eigenschaft starker Führungspersönlichkeiten. Doch aus meiner Perspektive ist eine zentrale Facette von Führung, dass sie ein interaktionales Beziehungsgeschehen ist. Es sind also mindestens zwei im Spiel.

Führung entsteht – oder sie entsteht nicht

Führung zeigt sich in der Interaktion. Sie ist ein Prozess, der sich zwischen Menschen entfaltet – und nur dort Wirkung entfaltet, wo andere bereit sind, sich führen zu lassen und Gefolgschaft zu gewähren. Ein Wort, das heute etwas angestaubt daherkommt, aber nach wie vor eine wichtige Rolle spielt. Wenn man Führung als ein Merkmal einer Interaktion von zwei Personen denkt, bedeutet das: Geteilte Verantwortung für das Gelingen oder auch Misslingen des Führungsgeschehens. Führung ist keine Eigenschaft einer einzelnen Person – der Führungskraft. Ihr kann also nicht alleine das Führungsversagen zugeschrieben werden. Es handelt sich um ein Zusammenspiel aus Rolle, Kontext, Beziehung und Resonanz.

Und: Führung wird oft erst dann sichtbar, wenn sie fehlt. Wenn nichts koordiniert ist, wenn Unklarheit herrscht, wenn niemand Verantwortung übernimmt. Dann wird spürbar, was Führung leisten kann – und woran es fehlt. Spoiler: In der Realität beginnt es mit der Führungsarbeit oft mit der banalen Einsicht, dass Führung eine zentrale Aufgabe ist, die nicht im Vorbeigehen erledigt werden kann. Nicht neben dem operativem Tagesgeschäft, sondern stattdessen. Führungsarbeit ist in weiten Anteilen vor allem Beziehungsarbeit. Arbeit, die gemacht werden muss und die sich bekanntermaßen nicht "von alleine macht". Beide Parteien tragen Verantwortung dafür.

Steuerung ≠ Führung

Ein häufiger Denkfehler in Organisationen ist, dass Steuerung und Führung gleichgesetzt werden. Dabei unterscheiden sich beide grundlegend.

Steuerung ist wichtig und darauf ausgelegt, Prozesse planbar und wiederholbar zu machen. Sie ist regelbasiert, nutzt Kennzahlen, Budgets, Checklisten und funktioniert gut bei stabilen, bekannten Problemen.

Führung hingegen greift dort, wo Steuerung an ihre Grenzen kommt – etwa in dynamischen, unsicheren oder mehrdeutigen Kontexten. Sie braucht Kommunikation, Vertrauen und Beziehung.

Beides (!) braucht es in Koexistenz in Unternehmen. Ohne Steuerung läuft vieles ineffizient, aber ohne Führung bleibt auch der langfristige Erfolg und die Innovation auf der Strecke.

Führung ist nichts, was man hat – sondern etwas, das man tut

Viele Führungskräfte sind irritiert, wenn sie feststellen, dass sie mit ihrer formalen Rolle allein wenig bewirken. „Jetzt bin ich in der Position des CEOs – aber der Einfluss bleibt aus.“

Die Ursache: Führung wirkt nicht über Titel, sondern über Beziehung. Macht wird nicht automatisch ausgeübt – sie wird aktiv von Menschen verliehen oder verweigert. Gefolgt wird nicht dem Organigramm, sondern der Orientierung, die entsteht.

Das ist einerseits entlastend – aber auch herausfordernd. Denn es bedeutet: Führung ist nicht planbar. Sie lässt sich nicht garantiert und zielgerichtet herstellen. Sie lässt sich sehr wohl komplett verunmöglichen oder wahrscheinlicher machen und immer wieder neu verhandeln.

Führung ist ein Wechselspiel – nicht ein Machtmonopol

Wer führt, tut dies nie allein. Führung ist kein Solo, sondern eine geteilte Verantwortung – zwischen Führungskraft und Team. Sie entsteht aus einem Prozess des Aushandelns, des Zuhörens, des Reagierens.

Das erfordert:

  • die Fähigkeit, Orientierung zu geben, die Zukunftsfähigkeit der Organisation sicherzustellen – ohne alle Antworten zu haben.
  • die Bereitschaft, sich selbst zu reflektieren – ohne sich zu verlieren.
  • die Kunst, Nähe und Distanz balanciert zu gestalten.

Führung ist kein Kampf um Status oder um Autorität, sondern eine Einladung zur Zusammenarbeit. Achtung: Einladung kann man annehmen oder auch ablehnen...

Führung braucht Macht – aber diese kann man nicht besitzen

Macht hat ein schlechtes Image in Organisationen – zu Unrecht. Sie entsteht immer und sie ist unverzichtbar, denn sie strukturiert Verantwortung. Entscheidend ist, wie mit ihr umgegangen wird.

Macht entsteht in Beziehungen. Sie wird nicht durch Rollen garantiert. Sie wird Personen freiwillig zugeschrieben. Die herkömmliche Vorstellung von Führung ist die, dass Macht im Besitz einer Person sein kann. Damit jemand aber Macht hat, muss sie ihm verliehen werden. Macht kommt nicht von oben, sondern von unten.

Das müssen Führungskräfte und formal mächtige Personen verstehen: Formale Macht allein führt nicht zu Einfluss. Auch wenn Ziele und Pläne aufgestellt werden, können diese ohne freiwillige Gefolgschaft nicht umgesetzt werden. Es zeigt sich, dass das Wichtigste, was Führungskräfte von ihren Mitarbeitenden brauchen, das ist, was diese freiwillig bereit sind zu geben – nicht das, was sie unter Druck oder wegen Belohnung tun.

Gelingende Führung ist kein moralischer Anspruch – sondern professioneller Umgang mit Komplexität

In komplexen Situationen gibt es selten eindeutige Lösungen.

Führung heißt dann:

  • entscheiden, obwohl vieles unklar ist.
  • handeln, obwohl es keine Garantien gibt.
  • Verantwortung übernehmen – vor allem für Ambivalenzen.

Führung ist kein Ideal. Sie ist kein Zustand, den man erreicht, sondern eine kontinuierliche Praxis – mit Brüchen, Spannungen und Fortschritten. Sie gelingt nie perfekt, aber sie kann professionell sein.

Fazit: Führung ist Beziehung in Aktion

Wer gute Führung sucht, sollte nicht nach der perfekten Führungskraft Ausschau halten – sondern danach fragen, was eine gute Führungsbeziehung ermöglicht. Denn Führung ist kein Charakterzug, sondern ein Beziehungsmuster. Kein Monolog, sondern ein Dialog.

Wenn du Führung nicht als Position, sondern als sozialen Prozess verstehen möchtest – und nach einem Weg suchst, sie kraftvoll und reflektiert zu gestalten begleite ich dich gern. Wenn du darüber nachdenkst, wie du Freiwilligkeit der Gefolgschaft und gelingende Führungsbeziehungen in deinem Team fördern kannst, lade ich dich ein, dich bei mir zu melden.

In meinem Coaching geht es nicht um Rezepte, sondern um deinen spezifischen Kontext, deine Rolle, deine Person und die Beziehung, in der Führung lebendig wird.

Preview: Gefällt dir, was ich schreibe, dann blieb dran. In den kommenden Wochen werde ich noch viele Themen rund um Organisation, Führung, Psychologie und Philosophie bewegen.

Unter anderem schreibe ich über

  • Freiheit als Fähigkeit, Abhängigkeiten zu gestalten
  • die (vergessene) Kunst des Folgens, über Demuts- und Streit- und Beziehungserhaltungskompetenzen
  • die Wichtigkeit und die Arbeit an der Reflexion von Führungsbeziehungen
  • die typischen Paradoxien in der Führung

und alles, was mir spontan sonst noch an spannenden Themen durch den Kopf geht.

Vielen Dank, dass du deine Zeit mit mir verbracht hast. Bis zum nächsten mal, stay tuned!