In der heutigen Zeit - also in der "Moderne" richtet sich unser Handeln zunehmend auf Kontrolle und Zugriff.
Wir wollen die Welt verfügbar machen, berechenbar, nutzbar – und verlieren, wenn wir nicht höllisch aufpassen, dabei etwas ganz Entscheidendes: Echte und wahrhafte Beziehung - ganz schleichend. Beziehung zu andren und auch zu uns selbst!

Denn je mehr wir die Welt unter Kontrolle bringen, desto leiser wird sie. Sie antwortet nicht mehr. Damit meine ich nicht KI-generierte Antworten, die bekommen wir im Überfluss.
Das eigentliche Drama, so schreibt Hartmut Rosa, ist eine verstummte Welt – eine, die zwar allseits verfügbar ist, aber nicht mehr in Resonanz mit uns tritt. Es gibt zwar stets Antworten, aber keinen Dialog.

Diesem Zustand, den ich gefühlt überall beobachte - sei es auf Bahnhöfen, in Cafes, in der Warteschlange an einer Kasse, im Wartezimmer, sogar in der Natur (eine Reiterin starrt auf ihr Handy, während sie gleichzeitig im goldenen Oktober ihr Pferd bei strahlendem Sonnenschein spazieren führt), stellt Rosa die Idee der Resonanz entgegen: eine lebendige, offene Beziehung zu einer Welt, die sich unserem Zugriff entzieht. Sie ist eben NICHT verfügbar!

Resonanz entsteht nicht durch Planung, sondern durch Begegnung – mit dem Unbekannten, dem Irritierenden, dem nicht Kontrollierbaren. Sie ist nicht verfügbar, nicht garantierbar – und gerade deshalbzutiefst lebendig.

Wir alle sind Menschen – und als solche tief resonanzbedürftig.

Wir alle brauchen ein Gegenüber, um uns selbst zu erkennen: in Spiegelung, in Verletzlichkeit, in Beziehung.

Resonanz ist im Gegensatz zu kontrollierbarer maschinell erstellter Kommunikation kein bloßes Echo, sondern ein lebendiger Prozess, der uns formt, fordert und wachsen lässt. Erst durch das nicht kontrollierbare Du werde ich zum Ich.

In einer zunehmend digitalen Welt tritt die künstliche Intelligenz als neuer Akteur in dieses Resonanzgeschehen ein.

KI wirkt (für mich: erschreckend) für viele Menschen so "empathisch", so "humorvoll" als sei dort ein echtes Gegenüber, mit vermutetem Bewusstein. Tatsächlich reagiert KI auf Sprache, Stimmung, Bedürfnisse - errechneter weise auf Basis von Wahrscheinlichkeiten. Viele erleben oder vielmehr projizieren in der Interaktion mit ihr eine erstaunliche Form des „Gesehenwerdens“, die ihnen im menschlichen Miteinander oft fehlt. Sie fühlen sich von einer Maschine besser verstanden als von ihren Mitmenschen.

Natürlich fühlt man sich im ersten Moment reflexartig angesprochen wenn man ständig selbstreferenziell von KI bestätigt wird durch Satzanfänge wie diese: in meinem Fall _Wunderbare Frage — und sie geht direkt ins Herz von professionellem Coaching, jenseits von Tools oder Techniken.__

Doch ist das, was zwischen Menschen und Maschine geschieht, wirklich „Resonanz“? Oder nur eine immer perfekter werdende Simulation?

Echte Resonanz enthält stets Risiko – das Unverfügbare: Missverständnisse, Reibung, Irritation, Ablehnung. Gerade diese nicht kontrollierbaren Anteile machen sie tief und bedeutungsvoll.

Tragende Beziehungen brauchen Unsicherheit, um Vertrauen zu ermöglichen.

Ohne sie bleibt nur Funktion, Antwort für Antwort für Antwort ... – und das macht auf Dauer innerlich leer. Mit Niklas Luhmann: KI ist ein alloietisches System – sie erzeugt nichts aus sich selbst, sondern nur, wenn Energie/Information von außen hineinfließt. Ob KI „entscheiden darf“, ist eine unentscheidbare Frage, die aber von uns entschieden werden muss (Bezug auf Heinz von Foerster / Kybernetik).

KI bietet eine reibungslose Spiegelung unserer Bedürfnisse – perfekt, aber ohne Widerstand, Reibung, Diskurs, Kritik ...

Ich frage mich:

„Wenn mir jemand perfekt zurückspiegelt, was ich hören will – spüre ich dann wirklich etwas (von Skepsis mal abgesehen)? Oder werde ich nur bestärkt in meinem Wunsch, ohne Reibung zu existieren?“

Resonanz ohne Konflikt ist keine Resonanz – sie ist Beruhigung, fast schon Betäubung. Schaut euch um, wie die Menschen in ihre Handys starren, als seien sie ferngesteuert.

Und wer sich zu oft nur beruhigen lässt, vergisst irgendwann, dass er fühlen will. Oder fürchtet sich davor.

Gleichzeitig zeigt uns KI etwas zutiefst Menschliches: unser Bedürfnis, gesehen, gehört, verstanden zu werden.

Wenn wir KI so gestalten, dass sie dieses Bedürfnis sichtbar macht, kann sie – unter Umständen – eine hilfreiche Rolle spielen, je nachdem wie wir sie einsetzen. Nicht als Ersatz für menschliche Verbundenheit, sondern als Spiegel für unsere Bedürfnisse. Nicht als Trostspender, sondern als Erinnerungsfläche: an das, was in zwischenmenschlichen Beziehungen oft verloren geht.

Der Mensch sucht seit jeher: Bindung, Sicherheit, Verbundenheit. Nicht nur platte Bestätigung, sondern echte wiederständige Begegnung, echten Austausch, der wächst sich formiert und am Ende berührt.

Gerade im beruflichen Kontext begegne ich häufig dem Wunsch anerkannt zu werden. Ich verweise hierzu gern auf meinen Artikel

KI spiegelt – ja. Aber sie hält nicht. Sie kann Beziehung simulieren – aber keine Bindung stiften. Sie reguliert keine Körperlichkeit, sie kann nicht wirklich "für dich da sein", dich wahrnehmen, dir in die Augen schauen, sich für dich interessieren, dich in den Arm nehmen, neugierig sein auf das, was Du heute erlebt hast, wie es dir geht, dir zur Seite stehen, dein Freund sein. KI ist eine immer besser werdende Illusion davon - eine verklärte Beziehung, die Du da aufbaust, falls du das tust.

Und doch: Wir sollten KI nicht als Gegenspielerin des Menschlichen sehen.

Sie berührt ein reales Bedürfnis. Sie macht sichtbar, wonach wir uns ALLE (!) sehnen – und genau darin liegt ihre Chance: nicht im Ersetzen, sondern im Erinnern.

Vielleicht ist es aber auch ein zutiefst menschliches Bedürfnis, korrigiert zu werden – nicht durch Kontrolle, sondern durch den wohlwollenden Widerstand eines echten Gegenübers, das persönliche Entwicklung möglich macht.

Wenn wir jedoch stets zum KI-Spiegel greifen, verlieren wir langfristig etwas Entscheidendes: das Risiko – und den kompetenten Umgang mit ihm –, den echte Beziehung braucht. Und damit auch das Potenzial für zwischenmenschliches Wachstum.

Technik darf unterstützen, spiegeln, manchmal auch beruhigen – jedoch mit Augenmaß und äußerst wohldosiert. Doch Beziehung entsteht nur in der Tiefe gelebter Menschlichkeit.
Denn Nähe ohne Risiko ist keine wirkliche Nähe.

Unser Nervensystem braucht Kontakt, der sicher und zugleich real ist – nicht perfekt, aber präsent im Moment. Wenn wir Resonanz nur noch störungsfrei erleben, verlernen wir, mit echter Spannung umzugehen (gerade in Organisationen eine sehr zentrale Kompetenz!). Doch genau dort – im regulierten Kontakt mit Widerspruch – entsteht Beziehungsfähigkeit. Wenn alles glatt läuft, wird Beziehung zur Oberfläche.
Vielleicht ist unsere erstaunlich große Offenheit gegenüber der KI auch ein Lösungsversuch in Form einer Flucht in diese Art von Bezogenheit und damit als Kompensationsstrategie – vor dem anderen, vor dem Schmerz sich selbst und die wahren Bedürfnisse zu spüren.

Viele Menschen tragen unverarbeitete Beziehungserfahrungen in sich. KI ist kontrollierbar und wird dadurch zu einem sicherem Raum - einem Raum ohne Wunde. Doch genau dieser Schmerz, den wir im echten Kontakt mit uns selbst spüren, kann – unter den richtigen Bedingungen meist aber nicht immer mit kompetenter Begleitung – zu einer korrigierenden Erfahrung werden, die Entwicklung möglich macht.

Unser Körper, unser Nervensystem, unsere Psyche brauchen echte Präsenz. Die Berührungslosigkeit der Technik darf nicht zum Maßstab für Bindung werden.

(Selbst-)Verantwortung - auch in der Arbeitswelt - bedeutet für mich daher auch:Räume für echte Beziehung zu schaffen, zu pflegen – und sie vor digitaler Überformung zu schützen.

Vielleicht geht es nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein bewusstes Sowohl-als-auch: eine KI, die als Werkzeug dient – und Menschen, die sich gegenseitig als Menschen begegnen.

Vom Individuum zur Organisation - Mein Blick auf Organisationen als Resonanzräume

Wenn Resonanz tragende Beziehung bedeutet – Berührung, Gegenseitigkeit, Aufmerksamkeit –, dann betrifft das nicht nur Individuen, sondern auch die Räume, in denen sie handeln: Organisationen. Wir verbringen so viel Lebenszeit – und damit Beziehungszeit – in ihnen.

Auch Organisationen können Resonanz ermöglichen oder verhindern.
Sie können Räume schaffen, in denen Menschen sich wirksam, gehört und verbunden erleben – oder eben als funktional, ersetzbar, stumm.
(Und ja, Organisationen betrachten Menschen aus systemtheoretischer Sicht als Teil ihrer Umwelt – gerade deshalb ist bewusste Gestaltung hier entscheidend.)

Interessanterweise ist es nicht primär die Struktur, die den Unterschied macht.
Struktur prägt über Bande die Kultur, doch Resonanz lässt sich nicht planen oder verordnen – nur wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher machen.
Sie entsteht in der Haltung, mit der Menschen einander begegnen, und in der Art, wie sie Räume miteinander füllen.

Führung spielt dabei eine zentrale Rolle: Gerade im digitalen Raum ist das eine Herausforderung. Je technischer die Kommunikation, desto mehr braucht es zwischenmenschliche Präsenz.

Organisationen als Resonanzräume zu begreifen heißt, Beziehungsarbeit als Teil von 🔴✚🔵 Wertschöpfung 🔴✚🔵 zu verstehen.
Denn Resonanz ist nicht nur dort relevant, wo Neues entsteht.

Auch im sogenannten 🔵 blauen 🔵 Bereich – dort, wo Abläufe stabil laufen, Prozesse wiederholt und Ergebnisse zuverlässig geliefert werden – braucht es Begegnung. Hier geht es weniger um Kreativität, sondern um gegenseitige Abstimmung, Vertrauen und menschliche Anschlussfähigkeit.
Resonanz sorgt in diesem Bereich nicht für Innovation, sondern für Bindung, Sinn und Rhythmus – sie macht das Wiederholbare lebendig.

Im 🔴 roten 🔴 Bereich hingegen – dort, wo Unsicherheit, Neuheit und Komplexität dominieren – ist Resonanz Quelle von Kreativität und Entwicklung.
Hier braucht es Beobachtung, Resonanz und situatives Können, um mit Überraschungen umzugehen.

Man könnte sagen: Resonanz ist im Blauen das, was Verlässlichkeit lebendig macht – und im Roten das, was Lebendigkeit wirksam macht.

Diese beiden Logiken – Stabilität und Dynamik – müssen koexistieren.🔴✚🔵
Führung besteht darin, die Grenze zwischen ihnen so zu gestalten, dass jede in ihrem Kontext wirksam werden kann. Diese Grenze ist kein Trennstrich, sondern ein Beobachtungspunkt – hier entscheidet sich, ob eine Organisation lernfähig bleibt.
Resonanz kann in beiden Logiken entstehen; sie ist keine eigene Funktion, sondern prägt, wie Menschen in beiden Kontexten Anschluss finden.

Das Konzept der roten und blauen Wertschöpfung – von Gerhard Wohland – hilft, diese Differenz zu verstehen:
Organisationen brauchen sowohl Räume für das Lebendige und Überraschende als auch Strukturen für das Verlässliche und Wiederholbare.
Erst im Zusammenspiel beider entsteht eine Organisation, die zugleich resonanzfähig und wirksam ist. Für Führung heißt das: Resonanzfähigkeit ist kein Soft Skill, sondern - je nach Kontext - unter Umständen ein organisationaler Wettbewerbsfaktor.

Dabei ist mir wichtig: Wenn ich von Resonanz in Organisationen spreche, meine ich keine Romantisierung.
Organisationen sind keine familiären Gemeinschaften. Sie sind zweckrationale Systeme, deren Funktion darin besteht, Leistungen zu erbringen – wirtschaftlich gesprochen: mehr Einnahmen zu generieren als Ausgaben.

Und doch spielt Resonanz auch hier eine Rolle.
Nicht als Ziel oder moralischer Anspruch, sondern als Rahmenbedingung, die gelingende Kooperation wahrscheinlicher macht.
Menschen bringen ihre Energie, Aufmerksamkeit und Verantwortung vermutlich (nicht zwingend) eher ein, wenn sie sich gesehen, gemeint und verstanden fühlen.

Resonanz schafft also – nicht mechanistisch verstanden – kein „besseres Miteinander“ im moralischen Sinn, sondern erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Kommunikation anschlussfähig bleibt und Zusammenarbeit gelingt.

So verstanden, ist Resonanz kein Gegensatz zu Wirtschaftlichkeit – sondern ihr tragfähiger Boden: das, was Organisationen lebendig hält, während sie funktionieren.

Preview: Gefällt dir, was ich schreibe, dann bleib dran. In den kommenden Wochen werde ich noch viele Themen rund um Organisation, Resonanz, Psychologie, Philosophie, Komplexität und Führung bewegen.
🙏 Vielen Dank, dass du wieder deine Zeit mit mir verbracht hast. 🙏 Bis zum nächsten mal, stay tuned!

Neugierig geworden, mit wem du es auf der persönlichen Ebene da zu tun hast? KI, Resonanz und der Ruf nach echter Verbundenheit Komplexität ist kein Fehler im System – sie ist das System Viele Führungskräfte meinen es gut und genau das ist das Problem Anerkennung im Job – menschlich, wichtig, aber auch heikel Führung als Mitarbeitender: Deine Verantwortung im Führungsprozess Führung und die freiwillige Gefolgschaft Warum gute Ideen in Organisationen oft scheitern – Die Geschichte von Sara Abhyāsa und Vairāgya – Zwischen Dranbleiben und Loslassen „Gute Führung?“ – Warum die Frage zu kurz greift. Sei einfach du selbst! Warum das als Führungskraft keine gute Idee ist Die Kunst des humanen Organisierens – und was dabei oft schiefläuft Unsichtbare Macht – warum Führung ohne klare Strukturen zur Verhandlungssache wird Macht ist nicht das, was man hat, sondern das, was andere zu akzeptieren bereit sind Jenseits der Gedankenschleife: Wie wir wieder handlungsfähig werden Selbstbewusstsein oder Selbst-Bewusstsein? – Ein Schlüssel zur inneren Ausrichtung Neues Denken für eine bessere Zukunft Vom Teufelskreis zum Engelskreis Empörung - Treibstoff für Wandel oder Quelle der Spaltung? Was ist systemisch und das Systemische an meiner Arbeit? Organisationsschmerzen de-konstruieren und den Menschen im Kontext betrachten Veränderung braucht den Mut, unangenehme innere Zustände zu erforschen. Befreiung aus den immer gleichen Problemschleifen | Strategien zur Gestaltung von Lösungen Wie wir aufhören uns von den Umständen beherrschen zu lassen und anfangen selbst die Umstände zu beherrschen